Prof. Dr. Bernhard Badura, Emeritus der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, erklärt im Interview warum Gesundheitsmanagement für Mittelständler immer wichtiger wird, was sich hinter dem Begriff für Maßnahmen verbergen und welche Dinge dabei zu beachten sind.
Süddeutscher Mittelstand: Welche Bedeutung hat das Thema Gesundheitsmanagement inzwischen in den Unternehmen bzw. im Bereich der Unternehmensführung?
Prof. Badura: Das Thema wird von den Unternehmen zurzeit noch sehr unterschiedlich dringlich wahrgenommen. Ich denke, dass dieses Thema immer wichtiger wird und eigentlich erheblich beschleunigt werden sollte. Angesichts zahlloser Probleme sollten die Maßnahmen im Unternehmen eigentlich schneller greifen, da dies im Moment noch relativ zögerlich der Fall ist.
Sie sprechen jetzt solche medial weitverbreitenden Diskussionen wie etwa Burn-Out-Problematiken und dergleichen an.
Ja, zum Beispiel. Und auch die damit verbundenen Kosten. Da Unternehmen häufig auf ihre Fehlzeiten blicken, wird dies auch bei Burn-Out drauf abgehakt. Die Fehlzeiten sind in absoluten Dimensionen nicht so bedrohlich hoch. Auf der anderen Seite wissen die Unternehmen auch, dass Menschen, die häufig krank zur Arbeit gehen, weniger produktiv sind. Die Produktivität bzw. Qualität sind hier wichtiger als die absoluten Fehlzeiten. Ich weiß nicht, warum man darüber noch keine Daten hat.
Also würden sich eigentlich sehr gute Chancen für die Unternehmer ergeben, nur fehlen entsprechende aktuelle Zahlen. Und daher können Unternehmern nicht so richtig in diesem Bereich argumentieren?
Ja, es ist ja so. Die Unternehmer kennen ihre gewünschten Zahlen. Und wenn ihnen nur die Fehlzeiten vorliegen, dann spiegeln die nicht das wahre Krankheitsbild, die Krankheitsgeschichte wieder. Sie haben viele Menschen, die krank zur Arbeit gehen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Menschen, die zu Hause bleiben, aber gesund sind. Dies ist halt kein gutes Abbild für die Realität.
Wie könnten denn Unternehmer dieses Thema Mitarbeitergesundheit denn praktisch angehen, wenn sie nicht von diesen Fehlzeiten ausgehen?
Eine Übersicht, in der die Gesundheit der Mitarbeiter hinterlegt ist, mit zentral verantwortlichen Faktoren, wäre so eine Möglichkeit. Dabei kann man Faktoren, die eine ganz entscheidende Rolle spielen, erfassen. Das setzt allerdings voraus, dass man dazu bereit ist, eine regelmäßige Mitarbeiterbefragung durchzuführen.
Welche Faktoren wären das?
Zum einen sind es bekannte problematische Arbeitsbedingungen, wie Überforderung und Zeitdruck. Auf der anderen Seite sind es Faktoren wie Mängel in der Unternehmenskultur, Mängel in der Qualifikation, Mängel in den zwischenmenschlichen Beziehungen und vor allem Mängel in der Führung. Die mangelhafte Mitarbeiterorientierung der Führungskräfte – und zwar auf allen Ebenen des Unternehmens – ist meines Erachtens im Moment das Hauptproblem, an das wir denken müssen.
Haben größere Unternehmen hier gegenüber mittelständischen Unternehmen Vorteile bzw. wirken sich bei mittelständischen Unternehmen die geringere Personaldecke und die Nähe zur Führung negativ aus?
Nein, so kann man das nicht sagen. Das gesamte Thema der Gesundheit spielt bei Führungskräften – egal welcher Unternehmensgröße – keine Rolle. Schlicht weil sie sich dafür nicht verantwortlich fühlen und auch dafür nicht ausgebildet sind. Das muss sich ändern, weil in Zukunft die fachliche Qualifikation nicht mehr allein entscheidet. Sondern es kommt bei der Auswahl der Führungskräfte auch darauf an, Menschen führen zu können. Daher fordere ich seit langem ja auch so etwas wie einen Führerschein für Führungskräfte.
Was wird denn ein sinnvolles Gesundheitsmanagement das Unternehmen kosten? Geht man vom Umsatz aus oder gibt es fixe Zahlen, an denen man das messen kann?
Die Kosten hängen nicht nur von den Problemen eines Unternehmens ab, sondern auch von der Größe. Es gibt Standards, was ein Unternehmen tun kann, um ein Gesundheitsmanagement aufzubauen. Einer der wichtigsten ist die bereits angedeutete Unternehmensdiagnostik.
Sind wir Deutschen in diesem Bereich Nachzügler oder gibt es in Europa im Allgemeinen ein Problem in der Unternehmenswelt?
Es ist eine paradoxe Situation. Ich denke, dass wir in Deutschland bei den Maßnahmen und der wissenschaftlichen Fundierung nicht schlecht dastehen. Im Bedarfsfall stehen wir aber deutlich schlechter da als manche europäische Staaten. Wir haben bei der Messung der gesunden Lebensjahre gegenüber den Beschwerdejahren deutlichen Bedarf, wie etwa Frankreich, Österreich und Schweden. Wir Deutschen sind, was die Lebensqualität angeht, auch in der Arbeitsqualität in keiner sehr günstigen Situation. Wir haben den Erfolg in den vergangenen Jahren zum Teil auf Kosten unserer Beschäftigten erreicht.
Das bedeutet also, dass Mittelständler genauso wie große Unternehmen etwas im Bereich Gesundheitsmanagement machen müssen. Schließlich ist die Gesundheit nach wie vor das wichtigste Gut.
Ja, aber es geht auch nicht nur darum, Mitarbeiter zu schonen. Gerade in Ballungsräumen wie Berlin, Hamburg, Frankfurt, München ist der Wettbewerb am Arbeitsmarkt schon richtig im Gange, v.a. in Bezug auf die Nachwuchskräfte. Ein Unternehmen, welches bekannt ist dafür, dass es sich für Mitarbeiter nicht einsetzt, wird sich nicht mehr lange durchsetzen auf diesem Arbeitsmarkt. Für die Anwerbung von Nachwuchskräften spielt in Zukunft die Mitarbeiterführung bzw. der Umgang mit Mitarbeitern, eine sehr zentrale Rolle.
Wenn man die Rankings über die beliebtesten Arbeitgeber in Deutschland ansieht, dann sind das ja meist die großen Global Player, wie Porsche, Mercedes, BASF. Werden Mittelständler gar nicht erst in solche Umfragen rein genommen oder geben die keine Auskunft dazu?
Beides. Man muss bedenken, dass ein Großunternehmen einen ganzen Stab an Gesundheitsmedizinern hat und die sind arbeitsrechtlich an Vorgaben gebunden. Mittelständler tun eigentlich eher wenig, die müssten da mehr tun. Hier sehe ich in der Zukunft sehr viel Handlungsbedarf. Vor allem müssen Mittelständler davon zu überzeugt werden, etwas an Ihrer Führung zu ändern. Nur dann können sie in der Zukunft bestehen.
Vielen Dank.
Das Interview führte Christoph Scherbaum im Rahmen eines Kundenprojektes im Corporate Publishing-Bereich im Mai 2012.